Friedrich Wolf (1888 - 1953)
Friedrich Wolf (1888 - 1953)

Zur Rezension von Ulrike Köpp

Die Ignoranz des Faktischen oder Der Triumph der Irrationalismen

Zur Rezension von Ulrike Köpp (in: Jahrbuch zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2012/II)

Die Berliner Kunsthistorikerin Ulrike Köpp versucht in ihrer unsachlichen, Sachverhalte verzerrenden Darstellung zunächst zu rechtfertigen, warum eine literaturwissenschaftliche Arbeit über Friedrich Wolf in einem Jahrbuch für Historiker besprochen wird. Eine Begründung ist für Köpp schnell gefunden: Man hat es bei meinem Buch „mit nachhallenden ideologischen Schlachten des Kalten Kriegs zu tun“. Dabei bezieht sich K. ausschließlich auf das Vorwort des Sammelbandes. Kurzerhand werden von K. dort formulierte Fragesätze, die die Offenheit eines Prozesses betonen wollen, zu Intentionen des Autors umfunktioniert, die die Rezensentin mit „Drohungen“ gleichsetzt. Diese unsachliche, den Aussagegehalt verfälschende Darstellung ist in der Rezension leider gang und gäbe. Und nachdem sie solch schwere Geschütze wie den „Kalten Krieg“ aufgefahren hat, muss K. schnell noch hinterher schieben, dass „natürlich“ eine kritische Sicht auf Leben und Werk Wolfs „legitim“ sei. Glaubwürdig aber ist das nicht. Denn im Folgenden kritisiert die Rezensentin nur die Art der Darstellung, die sie als „quälend und ermüdend“ empfindet, aber auf den sachlichen Gehalt der „Entlarvungen“ geht sie mit keinem Wort ein. Genau das ist der Kernpunkt. K. meint, ich hätte besser von Wolfs Legenden erzählen und die Rezeption ausschließlich als Fußnote abarbeiten sollen. Aber eine solche epische Vermittlung entspricht nicht der Zielsetzung der Studie „Mythen um Wolf“. Meine Intention war es, auf der Sachebene die zahlreichen Selbstmythisierungen Wolfs als heroischer Kämpfer und als heroisches Opfer zu erfassen und zu dekonstruieren. Im Fokus steht die Demontage der Opfer- und Heldenmythen Wolfs. Deshalb sind Genauigkeit, Gründlichkeit, Sachlichkeit und Differenziertheit gefragt, kurz: eine verifizierbare „Faktizität“ und eben keine „Erzählung“, wie K. meint. Die Tradierung heroischer Wolf-Bilder auf der Rezeptionsebene (in Ost und West übrigens) wird ausführlich dargestellt. Hier leistet die Studie Pionierarbeit. Das lässt sich kaum in ein paar Fußnoten verlegen. Aber Köpp, dieser Eindruck verstärkt sich immer mehr, will es gar nicht so genau wissen. An der Frage, was bei Wolfs Darstellungen „wahr“, d.h. durch Quellen gesichert, und was „falsch“, fingiert, Legende bzw. Mythos ist, hat sie, die „Historikerin“, offensichtlich kein Interesse. Das wird nicht nur daran deutlich, dass sie Reflexionen über die Wolf-Rezeption am liebsten in den Anmerkungsteil verbannen und auf diese Weise marginalisieren möchte. Sie geht auf keine Selbstmythisierung Wolfs inhaltlich ein, nennt keine einzige Position, die in der Literaturwissenschaft über Wolf formuliert wurde. Ganz offenbar hat sie hierzu nichts zu sagen. Dass es in der Studie Mythen um Wolf auch um eine kritische Auseinandersetzung mit stereotypen Deutungs- und Wertungsmustern in der Wolf-Philologie geht, erwähnt sie nicht einmal. Dafür aber überwiegt die Polemik in ihrer Rezension. So gibt Köpp an, Wolf bleibe mir, dem Autor, fremd und der Titel (Fremde Einblicke in Leben und Werk Friedrich Wolfs) gestehe es ja im Grunde auch ein. Welch billige Rhetorik, welch philologischer Dilettantismus! Köpp scheint nur die Bedeutung von fremd im Sinne von unbekannt, nicht vertraut sein geläufig zu sein, nicht aber im Sinne von ungewohnt, nicht zu der Vorstellung, die jemand von jemandem hat, passend, auf die der Untertitel des Sammelbandes abzielt. Ein weiteres Beispiel sei genannt. K. gibt an, dass ich Siedlungsexperimente wie die von Vogeler und anderen Landkommunen als Pejorativa gründlich missverstehe. Auch hier verfälscht sie den Aussagegehalt: Denn in der Studie wird der Nachweis erbracht, dass in der Wolf-Rezeption, insbesondere in der marxistischen Literaturwissenschaft, Wolfs Teilnahme an der Worpsweder Siedlungsgemeinschaft mit negativ konnotierten Begriffen wie Barkenhoff-Experiment, Siedlungsexperiment, Sozialexperiment oderVersuch einer Landkommune beschrieben und als lapidare Episode abgewertet wird. Es geht also um eine Kritik an der ideologisch bedingten Einseitigkeit in der Darstellung. Köpp versteigt sich gar zu der Aussage, der Entlarvungsgestus beherrsche das ganze Buch. Wenn überhaupt, müsste es die Studie „Mythen um Wolf“ heißen. Aber selbst diese Behauptung ließe sich bei sachlich - objektiver Betrachtung nicht aufrechterhalten. Diese pauschalisierenden Urteile sowie die Polemik sind es, die Köpps Voreingenommenheit sowie ihre insgesamt unprofessionelle Arbeitsweise als Rezensentin offenbaren.

In einer Passage traut sich Köpp dann an die Formulierung eines eigenen Deutungsansatzes heran. Zu der Frage, warum Wolf nach 1945 seine Groteskkomödie „Der Mann im Dunkel“ nicht wieder veröffentlichte, führt Köpp aus, dass Wolf seine Persiflage auf das expressionistische Prophetenamt, auf Wunderheiler und Körperanbetung nach Faschismus und Weltkrieg „für erledigt“ hielt. Wer nun glaubt, dass Köpp ihre These sachlich überprüft und dadurch absichert, irrt. Denn sie müsste dann zumindest den Versuch unternehmen, zu erklären, warum Wolf 1949 seinen Dramenband Aufbruch mit expressionistischen Erweckungs- und Verkündigungsstücken wie Das bist du, Mohammed und Tamar publizierte, die sicherlich weltanschaulich auch als „erledigt“ anzusehen sind. Am knappen Papier in der Nachkriegszeit kann es also nicht gelegen haben. Und auch die 1937/1938 unter Marxisten geführte Expressionismusdebatte dürfte die Argumentation für eine Veröffentlichung dieser frühen Werke nicht gestärkt haben. Vielleicht hätte die Rezensentin das Buch einfach gründlich zu Ende lesen sollen, dann wäre sie an späterer Stelle auf eine glaubwürdige Erklärung gestoßen. Denn die Komödie „Der Mann im Dunkel“ nimmt in Wolfs Oeuvre eine Sonderrolle ein: Alle Weltanschauungspostulate werden negiert; es gibt nichts mehr, woran man glauben oder worauf man hoffen könnte. „Leben“ wird hier verstanden als Prozess der Desillusionierung. In der Wertediskussion nach dem Hitler-Faschismus, in der die „Schuldfrage“ von zentraler Bedeutung war, aber schien Wolf dieses Verständnis unangebracht zu sein. Deshalb veröffentlichte er seine Groteskkomödie „Der Mann im Dunkel“ nach 1945 nicht wieder.

„Wird aufklärerische Mythenkritik immunisieren oder obsiegen die Irrationalismen?“, heißt es im Vorwort des Sammelbandes Der andere Wolf. Letzteres trifft auf die Rezensentin Köpp zu. Denn im Schlussteil ihres Beitrages bricht sich das irrationale Moment endgültig Bahn. Köpp behauptet hier, nur weil in unserer Gesellschaft heute Selbstinszenierungen „tägliche Anstrengung“ seien, meinte ich, auch Friedrich Wolf habe sich so verhalten und sich inszeniert („Und so meint er, auch der Arzt und Schriftsteller Wolf habe sich fortgesetzt selbst inszeniert, Bilder von sich entworfen und Legenden erzählt.“) Welch sachlogischer Fehltritt ins Leere, ins argumentative Nichts. Die Kritik an Friedrich Wolf im Beitrag Mythen um Wolf ist also nur eine Folge unseres heutigen Lebensgefühls, genauer: heutiger Profilierungsnormen, quasi eine aus dem Heute auf Wolf gerichtete Projektion?? Die akribisch erarbeiteten „Entlarvungen“, Belege, alles nur das subjektive Empfinden eines Einzelnen? Hat sich Wolf denn nicht in gigantisch - omnipotenter Feldherrenmanier zum Roten General von Remscheid entworfen? Hat er keine fingierten Strafanzeigen gegen sich in „ Zivilprozessen“ verfasst usw.? Man sieht: Köpp ignoriert die gesicherten Fakten. Sie möchte am Mythos Friedrich Wolf festhalten, ihn retten. Eine Entmythologisierung des ideologisch „ aufgeladenen“ Bilderarsenals ist ihr offensichtlich ein Dorn im Auge. Warum das so ist, verrät sie uns nicht. Auffällig ist zudem, dass sie den zentralen Begriff der Selbstmythisierung strikt vermeidet. Jetzt lässt sich auch ihre Polemik, dass man es „mit nachhallenden ideologischen Schlachten des Kalten Krieges“ zu tun habe, sowie ihr politisch korrektes, aber kraftlos wirkendes Bekenntnis, dass eine kritische Sicht auf Leben und Werk Wolfs „natürlich“ legitim sei oder die Tatsache, dass sie von Drohungen, nicht aber von der Befreiung von der Last der Mythen spricht, klarer einordnen. Auf der Sachebene hat sie der Demontage der Wolf-Mythen nichts entgegenzusetzen. Deshalb wirft sie Nebelkerzen, ignoriert die Fakten, die kurzerhand zum subjektiven Stimmungsbild eines Einzelnen nivelliert werden („Und so meint er…“). Kurz: Sie suggeriert, dass die Selbstmythisierungen und Legendenbildungen Wolfs gar nicht existent seien, sie bestünden lediglich in der Betrachtung des Autors. Denn es ist ein Unterschied, ob etwas nur in der Meinung eines Einzelnen existiert oder ob etwas real existiert. Meinungen gibt es viele, unterschiedliche, beliebige, wechselhafte. Was schrieb der Philosoph Hans Blumenberg doch über den Mythos? „Mythen antworten nicht auf Fragen, sie machen unbefragbar. (…) Diskriminierung des Faktischen als Legitimierung seiner Mißachtung zugunsten des eigenen Willens.“ Eine richtige Aussage enthält Köpps Rezension dann doch noch. Denn im letzten Satz fragt sie nach den Grenzen des Verstehens. Wie wahr! Köpp hat vom anderen Wolf wirklich nichts verstanden.

 



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© Stefan Hoffmann